2020 war ein Jahr, das uns sicherlich allen noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Es hat uns nicht nur gezeigt, dass wir sehr viel verwundbarer sind, als wir dachten. Uns wurde auch vor Augen geführt, wie wertvoll soziale Kontakte sind – und wie schmerzhaft es ist, wenn wir auf sie verzichten müssen. Für viele von uns war es befremdlich und beängstigend, sich im März 2020 plötzlich zu Hause – im besten Fall noch mit Job im Home Office – vorzufinden, ohne zu wissen, ob wir am Ende heil aus der Sache herauskommen würden.
Mir war bewusst, dass ich nicht die einzige war, die ohne persönliche Kontakte zu anderen zu Hause vor sich hinwerkelte und ich fragte mich damals, wie ich ein wenig positive Stimmung in die generell eher bedrückende Lage bringen konnte. Also habe ich zwei Kolleginnen gefragt, ob sie nicht Lust auf eine morgendliche Telefonkonferenz hätten, in der wir einander kurz von drei Dingen erzählten, die wir seit dem letzten Gespräch erlebt hatten und für die wir dankbar waren. Das haben wir auch ein paar Wochen lang getan und damit nicht nur dafür gesorgt, das Bedürfnis nach sozialem Kontakt zumindest ansatzweise zu stillen, sondern wir sind dadurch auch ein bisschen glücklicher geworden – denn dass Dankbarkeit glücklicher macht und dass diese einfache Methode der Dankbarkeit einen glückssteigernden Effekt hat, ist tatsächlich wissenschaftlich belegt.
Doch was genau versteht man unter Dankbarkeit? Welche Auswirkungen hat sie auf unser Leben? Ist sie angeboren oder lässt sich Dankbarkeit lernen? Kurz gesagt:
Was sagt die Forschung?
Nach Sonja Lyubomirsky (2010), einer der führenden Expertinnen im Bereich der Glücksforschung, kann sich Dankbarkeit auf verschiedenste Art und Weise zeigen. Sie kann sich darin äußern, dass wir Erlebnisse und Tätigkeiten so gut wie möglich auskosten und genießen, egal ob das etwas Kleines wie eine gute Tasse Kaffee oder der Duft des Flieders ist oder etwas so Großes wie die ersten Schritte des eigenen Kindes. Sie kann sich in der Wertschätzung für die kleinen und großen Dinge zeigen, die das Leben uns bietet. Sie zeigt sich, wenn wir den Überfluss im eigenen Leben erkennen, nichts als selbstverständlich betrachten, ja selbst wenn wir die positiven Seiten eines Rückschlags sehen. Dankbar sein bedeutet auch, sich der Rolle bewusst zu sein, die andere für unser eigenes Wohlergehen spielen. Wir beziehen Erfolge und positive Erlebnisse also nicht nur auf unsere eigene Leistung, sondern erkennen an und wissen es zu schätzen, dass auch andere Menschen daran beteiligt waren.
Die positiven Effekte von Dankbarkeit auf unser Leben sind immens: Dankbare Menschen sind nicht nur glücklicher, sie empfinden generell mehr positive Emotionen, sind empathischer, legen weniger Wert auf materielle Güter, sind zufriedener, weniger neidisch, leiden seltener an Depressionen und Burnouts, schlafen besser, vergeben verletzendes Verhalten schneller und sind mit geringerer Wahrscheinlichkeit ängstlich oder einsam. Außerdem werden sie wegen ihrer positiven Einstellung von anderen eher gemocht, wodurch es ihnen leichter fällt, Freunde zu finden (Lyubomirsky, (2010), McCullough et al. (2002), Watkins et al. (2014)).
Wer sich mit solchen Untersuchungen auskennt, weiß, dass oftmals nur die Korrelationen untersucht werden, also zum Beispiel ob zwei Eigenschaften häufig gemeinsam auftreten. Man kann daran keinen Ursachenzusammenhang ablesen, weiß also nicht, ob Eigenschaft A (z.B. Dankbarkeit) Eigenschaft B (z.B. Empathie) beeinflusst oder umgekehrt. Doch die Dankbarkeitsforschung konnte tatsächlich belegen, dass Dankbarkeit die Ursache für die oben genannten Effekte ist und nicht umgekehrt (Lyubomirsky, 2010).
Wir alle können von den positiven Effekten von Dankbarkeit profitieren
Eine gewisse Neigung zur Dankbarkeit (im Folgenden „Grunddankbarkeit“ genannt) ist angeboren und äußert sich beispielsweise in der Fähigkeit, Erfolge nicht nur auf eigene Leistung zurückzuführen, sondern auch zu erkennen und zu schätzen, was andere dazu beigetragen haben. Wenn wir erkennen, dass andere Menschen uns etwas Gutes tun wollen, fühlen wir uns wertgeschätzt, was sich wiederum positiv auf unser Selbstwertgefühl auswirken kann. Man vermutet, dass Menschen mit einer angeborenen Grunddankbarkeit die Guten Dinge als ein Geschenk ansehen und nicht für selbstverständlich halten, weshalb sich nicht der sonst übliche Gewöhnungseffekt einstellt und diese Menschen deshalb dauerhaft glücklich sind (McCullough et al., 2002).
Dankbarkeit ist aber auch eine Einstellungssache, auf die man selbst Einfluss nehmen kann. Dazu wurde sehr viel geforscht; besonders gut untersucht ist eine Methode, die so einfach ist, dass man ihre Wirksamkeit gar nicht so richtig glauben mag: Das Aufschreiben von guten Dingen, für die wir dankbar sind. Die Methode wird im nächsten Abschnitt genauer beschrieben, doch jetzt erst einmal zu den Untersuchungsergebnissen:
Bei einer der Untersuchungen schrieben die Versuchspersonen eine Woche lang täglich drei Dinge auf, für die sie in den letzten 48 Stunden dankbar waren. Schon von Beginn an zeigte sich ein Trend in der Steigerung ihres Wohlbefindens, soll heißen: Die Versuchspersonen, die diese Methode ausprobiert hatten, fühlten sich danach etwas besser. Faszinierend ist jedoch, dass ihr Wohlbefinden nach fünf Wochen sehr deutlich angestiegen war, obwohl sie die Übung in der Zwischenzeit nicht mehr durchgeführt hatten (Watkins et al., 2014).
In der gleichen Untersuchung wurde überprüft, ob tatsächlich Dankbarkeit den Unterschied macht oder ob andere positive Methoden den gleichen Effekt erzielt hätten. Hier wurden andere Versuchspersonen gebeten, täglich drei Dinge aufzuschreiben, die in den letzten 48 Stunden gut gelaufen sind und dann zu reflektieren, inwiefern diese Erlebnisse sie mit Stolz erfüllten. Auch hier fühlten sich die Versuchspersonen nach einer Woche ein klein wenig besser, aber die Veränderung zu vorher war geringer als bei der Dankbarkeits-Methode und nahm dann nicht mehr weiter zu. Watkins et al. sahen darin die vielen vorherigen Untersuchungen bestätigt, die aussagten, dass nicht jede positive Methode einen förderlichen Einfluss auf unser Wohlbefinden hat, sondern dass Dankbarkeit der entscheidende Faktor ist.
Männer profitieren mehr von der Dankbarkeitsübung
Ein weiteres interessantes Ergebnis der Untersuchung war, dass Männer im Schnitt mehr von der Methode profitierten als Frauen, bei ihnen zeigte sich also ein höherer Anstieg im Wohlbefinden. Das Wissenschaftsteam um Watkins ging diesem überraschenden Fund nach und stellte fest, dass die Dankbarkeits-Methode einen größeren Effekt bei Menschen zeigt, bei denen die angeborene Grunddankbarkeit geringer ausgeprägt ist – und im Allgemeinen haben Männer tatsächlich eine geringere Grunddankbarkeit als Frauen. Natürlich ist hier Vorsicht geboten, da sich solche Aussagen an Durchschnittswerten orientieren, nicht an Individuen; es gibt also auch viele Männer, die eine hohe Grunddankbarkeit haben und Frauen, deren Grunddankbarkeit sehr gering ausgeprägt ist.
Gut zu wissen ist auch, dass man weder Interesse daran haben muss, glücklicher zu werden, noch muss man die Übung sonderlich mögen, um von ihr zu profitieren (Watkins et al., 2014). Man sollte es allerdings auch nicht mit der Übung übertreiben: Es reicht, sie einmal die Woche zu machen. Bei einer weiteren Untersuchung wurde eine Gruppe von Versuchspersonen nämlich gebeten, die Übung im Verlauf von sechs Wochen dreimal pro Woche zu machen, während eine andere Gruppe sie im gleichen Zeitraum von sechs Wochen nur sonntags durchführen sollte. Die erste Gruppe zog keinen positiven Nutzen aus der Übung, während sich das Wohlbefinden der zweiten Gruppe merklich steigerte. Die Vermutung liegt nahe, dass die Übung denjenigen Versuchspersonen langweilig wurde, die sie dreimal in der Woche machen mussten und sie deshalb im Laufe der sechs Wochen eine Abneigung dagegen entwickelten (Lyubomirksi, 2010).
Wie funktioniert die Dankbarkeitsübung und was können wir außerdem noch tun, um durch Dankbarkeit glücklicher zu werden?
Nimm dir einmal die Woche ausreichend Zeit, um in Ruhe über drei bis fünf Dinge nachzudenken, die dich mit Dank erfüllen. Während du diese Dinge aufschreibst, lass das Gefühl der Dankbarkeit dafür noch einmal in dir lebendig werden. Wichtig ist dabei nur, jede Woche etwas anderes zu finden und nicht immer das gleiche heranzuziehen, um dem Gewöhnungseffekt entgegenzusteuern.
Was sollen das für Dinge sein? Es muss sich dabei um gar nichts Kompliziertes handeln, sondern es können ganz einfache Dinge sein wie der wunderschöne Sonnenuntergang am Abend zuvor oder das kleine Häschen, das dich beim Vorbeijoggen neugierig angeschaut hat. Es können natürlich auch große Dinge sein wie das Jobangebot, das in der Woche zuvor hereingeflattert ist oder die Freude deiner kleinen Tochter über die Pfannkuchen zum Mittagessen. Es kann sich um Momente handeln, in denen andere etwas für uns getan haben, um etwas, das wir selbst geleistet haben oder auch um Privilegien, die wir haben.
Wie kann das Ganze aussehen? Bei mir steht diese Woche zum Beispiel auf der Liste, dass sich mein Partner riesig gefreut hat, als ich ihn beim Nachhausekommen mit einem Glas Eiskaffee begrüßt habe. Warum mich das so dankbar gemacht hat? Weil es nicht selbstverständlich ist, einen Partner zu haben, der kleine Gesten zu schätzen weiß – selbst dann noch, wenn sie eher die Regel sind als die Ausnahme. Außerdem bin ich dankbar, dass mir ein Leser meines Blogs ein Buch schicken will, das mir weitere Ideen für meinen Blog geben könnte. Dabei ist es total egal, ob mich das Buch erreicht oder nicht: Was mich dankbar macht, ist der selbstlose Gedanke und dass mir jemand Unterstützung anbietet. Und schließlich bin ich dankbar dafür, dass meine Knieverletzung (siehe Über mich) dazu geführt hat, dass ich mit mir selbst ins Reine gekommen und jetzt viel zufriedener mit meinem Leben bin, als ich es davor gewesen war.
Je nachdem, wie gut du mit den Vorgaben zurechtkommst, kannst du diese Übung auch variieren: Statt einmal die Woche kannst du sie auch mehrmals die Woche oder nur alle zwei Wochen durchführen; statt nur die drei bis fünf Dinge aufzuschreiben, kannst du auch notieren, weshalb du dankbar dafür bist oder du kannst dich entscheiden, gar nichts aufzuschreiben, sondern die Übung einfach nur in Gedanken durchzuführen. Eine andere Möglichkeit ist es, einmal täglich etwas zu identifizieren und wertzuschätzen, was du normalerweise als selbstverständlich erachtest.
Drei Tipps, um eine dankbare Einstellung zu fördern:
- Versuche, bei Geschenken und kleinen Gesten die Intention dahinter zu sehen, nicht ob dir das Geschenk gefällt oder ob die kleine Geste dir auch wirklich weiterhilft. Jemand wollte dir damit eine Freude machen, hat sich Gedanken gemacht, was dir gefallen könnte. Neben Geschenken zum Geburtstag oder zu Festtagen fallen hierunter auch die kleinen Dinge – ein Kollege bringt dir vom Bäcker eine Brezel mit, eine Freundin überrascht dich mit einer Kleinigkeit, die sie an dich erinnert hat, oder deine fünfjährige Tochter bringt dir Blumen mit, die sie auf dem Komposthaufen im Friedhof gefunden hat (was ich früher oft getan habe, um meiner Mutter eine Freude zu machen – sie hat sich tatsächlich darüber erfreut gezeigt, auch wenn vertrocknete Grabblumen wahrscheinlich nicht gerade die Nummer Eins auf ihrer Wunschliste waren).
- Zeige Wertschätzung dafür, was es eine andere Person gekostet hat, etwas für dich zu tun: Fast alles, was andere für uns tun, zieht Kosten für sie nach sich, sei es Zeitaufwand oder dass sie dafür eine angenehme Tätigkeit unterbrechen oder durch die halbe Stadt fahren mussten.
- Versuche zu erkennen, wie die Hilfeleistung anderer Personen sich auf dein Leben auswirkt: Vielleicht hast du dadurch mehr Zeit für angenehmere Dinge, du hast dich in einer Fertigkeit verbessert oder dein Leben ist auf eine andere Art einfacher geworden.
Am 15. November findest du im Blog eine Dankbarkeits-Übung, die ganz im Geiste der Vorweihnachtszeit nicht nur dich, sondern auch andere glücklicher machen wird. Du darfst gespannt sein!
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Quellenangaben:
Lyubomirsky, S. (2010). The How of Happiness: A Practical Guide to Getting the Life You Want. London: Piatkus.
McCullough, M. E., Emmons, R. A., & Tsang, J.-A. (2002). The grateful disposition: A conceptual and empirical topography. Journal of Personality and Social Psychology, 82(1), 112–127.
Watkins, P. C., Uhder, J., & Pichinevskiy, S. (2015). Grateful recounting enhances subjective well-being: The importance of grateful processing. The Journal of Positive Psychology, 10(2), 91–98.
This was very interesting! 🙂